Dr. Pavel Liska: Einführung zur Ausstellung „Das wilde Tier: gezähmt“

20. Oktober – 18. November 2005 in der Galerie Erdel

Die meisten der hier Anwesenden sind sicherlich sehr gut mit dem Werk von Ludwig Gebhard bekannt. Sie werden die Linolschnitte zunächst vor allem als schön empfinden, als harmonisch, als etwas, das man gerne anschaut, durch das Schönheit vermittelt wird. Auf den ersten Blick ist mir das auch so gegangen und auf den zweiten Blick habe ich gemerkt – die Schönheit ist nicht so einfach. Sie strengt an. Es ist keine klassische Schönheit, bei der man ein Bild symmetrisch aufbaut und den perspektivischen Raum wahrnimmt, wo die Farben lokal sind, wo man in eine bekannte Bilderwelt kommt, sondern es ist eine Schönheit, Harmonie, die auf Unregelmäßigem, auf Ungleichmäßigem, auf Unbestimmtem basiert. Ich möchte dafür den in der modernen Kunst sehr wichtigen Begriff „Ambivalenz“ verwenden.

Ob es eine Linie, eine Fläche, ob es eine Raumdarstellung oder -definition ist, wir sind nicht ganz sicher wie das jeweilige Element eingesetzt wurde. Man kann es so oder so sehen. „Ambivalenz“ ist ein Begriff, der Mehrdeutigkeit bedeutet, der Uneindeutigkeit be­deutet. Ich glaube, dass der Begriff „Ambivalenz“ die Dinge beschreibt, die der Künstler eigentlich macht.

Der Ambivalenzbegriff ist bei Gebhard nicht nur auf die gestalterischen Elemente, also Fläche, Farbe und Raum anzuwenden, darauf werde ich später zurückkommen, sondern auch auf die Formensprachen, die Formensysteme, die man beim Betrachten der Bilder entdecken kann. Mir geht es so, dass ich in den Bildern den Konstruktivismus entdecke, den Surrealis­mus entdecke, und natürlich den Kubismus. Immer wieder den Kubismus. Und es ist interessant, dass man das so sieht. Aber wenn Sie die Bilder genauer anschauen, werden Sie das System nicht als vollständiges System entdecken, sondern als Zitat oder Fragment, wiederum kombiniert mit anderen Stücken - wieder also ambivalent, wieder unbestimmt und mehrdeutig eingesetzt, so dass man eine Art konstruktiver Unsicherheit beim Betrachten der Bilder verspürt, mit der man bei aller Schönheit und Harmonie arbeiten muss. Es ist nicht einfach schön, es ist kompliziert schön. Und das ist, glaube ich sehr wichtig und etwas, das die Kunst eigentlich bringen soll.

Dabei ist ebenfalls wichtig, dass Ludwig Gebhard mit Reduzierung umgeht, in einer Rich­tung, die ich hier Purismus nennen würde – also saubere Formen. Man reinigt die ursprüng­lichen Formen sozusagen und kommt so zu den endgültigen Formen, die so und so sein müssen und nichts anderes. Daher auch die Technik des Linolschnitts, wo die Eindeutigkeit des Schnitts wohl am besten festzumachen ist. Linoleum ist ein Material, das ganz genau das wiedergibt, was der Künstler einmal hineingeschnitten hat. Die Flächen bleiben sauber, die Trennung zwischen den Flächen bleibt sauber. Das, so nehme ich an, sind die Qualitäten, die den Künsteler dazu bewegt haben, diese Technik zu wählen.

Wenn man über die Mehrdeutigkeit des Stilistischen bei Ludwig Gebhard spricht, fallen einem bestimmte Namen ein wie Joan Miró, Fernand Léger oder Paul Klee, die immer wieder durch die Bilder assoziative Signale geben. Vor allem ist hier natürlich an Pablo Picasso zu denken, auf den man sich nicht nur in der spätmodernen sondern auch in der postmodernen Zeit durchaus berufen kann.

Deshalb würde ich hier gerne einen Exkurs machen, über das was Picasso und Braque in ihrem analytischen Kubismus gemacht haben, um anzudeuten, welchen Stellenwert er bis heute hat.

Eines der Probleme der Ambivalenz, die Picasso und Braque sich gestellt haben, war den Widerspruch, die Dichotonie zwischen Konkretem, zwischen Realem, Figurativem und Abstraktem zu lösen. Wir wissen, dass Picasso nie in die reine Abstraktion wollte. Mondrian warf ihm vor, dass er hier den letzten Schritt nicht gemacht hat. Picasso und Braque wollten diesen Schritt nicht machen weil er in ihren Augen eine Sackgasse war. Sie haben versucht, zwischen Realität und Bild zu vermitteln, haben nach verschiedenen Lösungen gesucht und schließlich die Collage erfunden, nämlich die Möglichkeit, einen Gegenstand, also ein drei­dimensionales Objekt in das Bild so zu integrieren, dass es ein Bestandteil der zwei­dimensionalen Fläche wird, dass man also etwas Konkretes (was in den Augen der Abstrakten ein Verbrechen ist) in das abstrakte, gestalterische Bild integriert so dass es konkret bleibt, aber gleichzeitig die Qualität des Bildes annimmt. Die Collage ist nämlich sozusagen die Versöhnung zwischen der realen und der abstrakten Welt, wo sich beide in einer neuen Welt vereinigen. Das ist es eigentlich, was den beiden Puristen gelungen ist und zwei Jahre später für Marcel Duchamp den Weg zu Readymade geöffnet hat, wo man den Gegenstand ohne das Bild selbst schon als gestalterisches Element präsentiert. Ich möchte das betonen, weil wir wissen, was das Readymade von Duchamp für die heutige Kunst bedeutet. Es haben sich hier Möglichkeiten eröffnet, die bis heute jeder zweite Künstler benutzt. Ich erwähne das, weil es bei Picasso eigentlich schon während der Moderne passiert, wo er Elemente der Postmoderne entwickelt und entdeckt hat, nämlich die totale Ambivalenz und Wechselhaftigkeit zwischen realem Gegenstand und gemaltem, gezeichnetem, Bild.

Ich komme zu der Ambivalenz in den Bildern von Ludwig Gebhard zurück. Die Linie erfüllt, genauso wie bei Picasso, mehrere Aufgaben: Sie kann Volumen eingrenzen, sie kann eine Fläche eingrenzen, sie kann als Passage wirken. Von Cézanne kennen wir die Wirkung, die Qualität der Linie, die sozusagen in die Tiefe des Bildes hineingeht. Das ist genau das, wo die Linie ihren linearen Charakter verliert und sich raumbildend betätigt. Sie kann als Schattierung auftreten oder einen antiperspektivischen Raum markieren. Die Fläche kann als Raumgrenze oder als Raumillusion und auch als Leere erscheinen, wo sich dann eine Konstruktion aus Linien vor der Leere oder in der Leere präsentiert. Ähnlich kann die Farbe als Fläche oder raumbestimmende Konstruktion auftreten. Dabei ist wichtig, dass Ludwig Gebhard nicht darstellt. Ich habe viele Texte gelesen, in denen man über die Darstellung und die Empfindung der Wirklichkeit spricht und den Künstler dann sozusagen dabei erwischt, wie er das verarbeitet. Ich glaube nicht, dass Gebhard das macht. Ich glaube, Ludwig Gebhard konstruiert. Er konstruiert aus dem, was er kennt, was er schon gestaltet gesehen hat. Deswegen gibt es so viele Stilzitate. Man findet Linien, die kubistisch wirken. Man findet futuristische Simultanität, das heißt, das Festhalten mehrerer Phasen eines Gegenstandes wie wir das im Futurismus gesehen haben. Man findet konstruktivistische Tektonik, das heißt Aufbau durch konstruktivistische Elemente durch die Geometrie oder surrealistische Illusion. Das sind alles Prinzipien und Strategien, die schon gestalterisch verwendet worden sind und die Gebhard hier nochmals verwendet, die nicht aus der Wirklichkeit abgeleitet sind, sondern aufgrund der Erfahrung der anderen Künstler gesehen wurden und hier perfekt und auf eine schöpferische Weise angewendet werden. In diesem Sinne ist Ludwig Gebhard kein moderner Künstler, sondern ein postmoderner, der es sich erlaubt, Zitate zusammenzumontieren und in eine neue Einheit einzubeziehen, das heißt zu dekonstruieren, einzelne Elemente von der Bedeutung zu befreien und in ein neues System zu integrieren, das ein neue Bildwelt erschafft.

Einführung zur Ausstellung in der Galerie am Fischmarkt. Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung des Autors


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