Ludwig Gebhard konnte man sich nicht entziehen. Seine geradlinige, zupackende Art, die Selbstverständlichkeit mit der er auf Perfektion bestand – zuerst in seiner eigenen Arbeit, aber auch bei seinen Partnern, seine mitreißende Vitalität und Lebensfreude, das alles machte den Umgang mit ihm intensiv und ertragreich. Seine klaren Aussagen führten dazu, dass man sich schnell verstand, was nicht bedeuten musste, immer einer Meinung zu sein. Aber für ihn gab es keine unklaren Entwürfe, kein Verweilen im Probieren: Was er sich nicht intellektuell und emotional zu eigen gemacht hatte, das zeigte er auch nicht, das war auch nicht sein Thema, weder in der künstlerischen Arbeit noch im Gespräch. Sein bevorzugtes künstlerisches Medium war der Linolschnitt, wo mit festem, hochpräzisem Schnitt das Werk vorbereitet und anschließend in exakter Technik ausgeführt wurde.
Ludwig Gebhard hatte mich im Mai 2005 angerufen, weil er herausgefunden hatte, daß er in Regensburg noch nicht durch eine Galerie vertreten war und das wollte er ändern. Im selben Monat trafen wir uns in der Galerie. Ludwig Gebhard und seine Frau Cora hatten eine Mappe seiner Arbeiten mitgebracht. Oberpfälzer wir beide, Schlichtheit, Klarheit und Werthaltigkeit schätzend, verstanden wir uns schnell und vereinbarten die Vorbereitung einer Ausstellung im selben Jahr. Die Vorbereitung war dann gründlich und umfangreich: Gegenseitige Besuche – zuerst in seinem Atelier in Landsberg am Lech, eine gemeinsame Fahrt zum Ludwig Gebhard Museum in Tiefenbach, der folgende Besuch in seinen Ausstellungsräumen beim Atelier zur Auswahl der Bilder für die Ausstellung, nachdem wir uns inzwischen auf ein Konzept geeinigt hatten. Alles wurde fotographisch und videographisch dokumentiert, diese Dokumente liegen inzwischen als ein Beitrag zur Erarbeitung eines Filmes über Ludwig Gebhards Leben in einem Studio in Landsberg.
In dieser Zeit durfte ich Arbeitsweise und Grundthemen seines Schaffens kennenlernen:
Ludwig Gebhard suchte seinen Ausdruck in der Diskussion mit den bestimmenden europäischen visuellen Ausdrucksformen – dem Surrealismus, Kubismus, Konstruktivismus. All das im Dialog und in der Auseinandersetzung mit Joan Miro, Fernand Léger, Paul Klee, und natürlich immer auch mit Pablo Picasso. Das war kein Nachahmen, aber durchaus eine Auseinandersetzung in dem respektvollen Bewusstsein, auf den Schultern von Riesen zu stehen. Daran war nichts konservatives, er erarbeitete sein Werk durchaus an der künstlerischen Front, aber eben nicht im Niemandsland.
Es war mir schon bei der ersten Ausstellung sehr wichtig, die beiden Pole seines Schaffens – konkrete Kunst und konstruktivistische Figuration – gegenüberzustellen. Die konkrete Kunst bot ihm die Möglichkeit zum experimentellen Umgang mit dem Malmaterial, hier steht die visuelle Erfahrung im Vordergrund und der Versuch die Welt der Bildempfindung zu erweitern.
Die Figuration andererseits, die sich bei Gebhard um das Menschenbild als kulturelles Zeitabbild zentriert, war nicht nur Gegengewicht zum Konkreten sondern echtes Anliegen zur Vermittlung seines Beitrags um die Diskussion der conditio humana.
Aus dieser selbstgewählten Mission zog er die Kraft für seine ungeheuere Produktivität. Der Frühaufsteher war meist bereits um 6:00 Uhr bei der Arbeit, und ein Tag der Zusammenarbeit oder Verhandlung mit ihm ließ erahnen, welche Kraft dieser Künstler aktivieren konnte.
Diese erste Ausstellung mit Ludwig Gebhard in meiner Galerie am Fischmarkt in Regensburg im Jahr 2005 hatte den Titel „Das wilde Tier: gezähmt“ ein Titel, der meinen Eindruck Gebhardscher Arbeit widerspiegelte - nämlich dynamische Schaffensfreude im Zaum höchster Präzision - und dessen Formulierung ich einem Text von Ludwig Wittgenstein entwendet hatte: „In aller großen Kunst ist ein wildes Tier: gezähmt“. Zur Eröffnung kamen mehrere Ludwig Gebhard Kenner, die im Abonnement schon seit vielen Jahren seine neuen Blätter bezogen und grosses Interesse an der Ausstellung zeigten, nicht ohne mir stolz zu versichern, daß ihre Sammlung weitaus mehr Stücke umfasse als meine Ausstellung. Meinen Eindruck, daß man an Ludwig Gebhard nicht vorbeikäme, teilten aber glücklicherweise auch einige Grafiksammler aus der Region, die erstmals Blätter von Ludwig Gebhard erwarben.
Bei der Ausstellungseröffnung sprach Dr. Pavel Liska, damals Leiter der renommierten Ostdeutschen Galerie in Regensburg. Sein Vortrag betonte zwei Wesensmerkmale Gebhard´scher Arbeiten: Reduzierung und Ambivalenz.: „Der Ambivalenzbegriff ist bei Gebhard nicht nur auf die gestalterischen Elemente, also Fläche, Farbe und Raum anzuwenden, ... sondern auch auf die Formensprachen, die Formensysteme, die man beim Betrachten der Bilder entdecken kann. Mir geht es so, dass ich in den Bildern den Konstruktivismus entdecke, den Surrealismus entdecke, und natürlich den Kubismus. Immer wieder den Kubismus. Und es ist interessant, dass man das so sieht. Aber wenn Sie die Bilder genauer anschauen, werden Sie das System nicht als vollständiges System entdecken, sondern als Zitat oder Fragment, wiederum kombiniert mit anderen Stücken - wieder also ambivalent, wieder unbestimmt und mehrdeutig eingesetzt, so dass man eine Art konstruktiver Unsicherheit beim Betrachten der Bilder verspürt, mit der man bei aller Schönheit und Harmonie arbeiten muss. Es ist nicht einfach schön, es ist kompliziert schön. Und das ist, glaube ich sehr wichtig und etwas, das die Kunst eigentlich bringen soll.“ (Dr. Pavel Liska bei der Ausstellungseröffnung am 20. Oktober 2005)
Die Ausstellung wurde nachträglich in einem sehr ausführlichen Katalog dokumentiert, der von meinem Verlag herausgegeben wurde. Dem Katalog war der Text der Eröffnungsrede von Dr. Liska vorangestellt, die einzelnen Blätter korrespondierten jeweils mit einem interpretierenden Text der Kunsthistorikerin M.A. Luise Finger. Eine traurige Episode ist mit der endgültigen Fertigstellung dieses Kataloges verbunden: Ludwig Gebhard signiert die ersten 50 Vorzugsexemplare, die mit einer Originalgrafik versehen waren, kurz vor seinem viel zu frühen Ableben, noch auf dem Krankenbett.
Ludwig Gebhard hinterließ ein umfangreiches Oeuvre aus Gemälden, Handzeichnungen, Grafiken, Skulpturen, sowie Schmuck und Textildesign. Die weiteste Verbreitung fanden allerdings seine Linoldrucke, ein Gebiet, auf dem Ludwig Gebhard nach übereinstimmender Meinung weltweit einen Spitzenplatz einnimmt.
„Im Linolschnitt erreicht der Künstler eine unbedingte Exaktheit, einen unmittelbaren klaren Ausdruck der zum Charakteristikum seiner Qualität wird.“ schreibt Beate Noeke in einem Ausstellungskatalog, und Pavel Liska, schreibt über seine Linoldrucke: „ ….ist ebenfalls wichtig, dass Ludwig Gebhard mit Reduzierung umgeht, in einer Richtung, die ich hier Purismus nennen würde – also saubere Formen. Man reinigt die ursprünglichen Formen sozusagen und kommt so zu den endgültigen Formen, die so und so sein müssen und nichts anderes. Daher auch die Technik des Linolschnitts, wo die Eindeutigkeit des Schnitts wohl am besten festzumachen ist. Linoleoum ist ein Material, das ganz genau das wiedergibt, was der Künstler einmal hineingeschnitten hat. Die Flächen bleiben sauber, die Trennung zwischen den Flächen bleibt sauber. Das, so nehme ich an, sind die Qualitäten, die den Künstler dazu bewegt haben, diese Technik zu wählen. „
Gebhard arbeitet dabei nach dem Verfahren der verlorenen Form, bei dem ausgehend von der ersten Platte, weitere Teile des Druckstockes beschnitten werden und mit der nächsten Farbe weitergedruckt wird. Ein einziger Fehler bei einer Druckstufe macht die gesamte Arbeit und alle vorausgegangenen Abdrucke wertlos. Darüber hinaus ist es bei diesem Verfahren auch unmöglich, den Druckprozess nochmals von vorne zu beginnen: Vom ersten Farbdruck bis zur Vollendung muß perfekt gearbeitet werden. Wenn man realisiert, dass Gebhard Blätter mit bis zu 11 Druckstufen verfertigte und darüber hinaus in diesen Druckstufen auch noch Farbverläufe unterbringen konnte, wird klar, welche Präzision und welcher Aufwand jeweils zur Fertigung eines einzigen Blattes nötig waren.
Ludwig Gebhard lag diese Vertiefung, ja Versenkung in die Arbeit wie wir sie in fernöstlichen Religionen kennen, wo der Künstler nichts, das Werk aber alles gilt. Auch er konnte sich in diese Rolle gut einfügen: Während er vielfältigste Kontakte zu Kunstwelt, Politik und Wissenschaft pflegte, stellte er – selbst von hochgewachsener und attraktiver Erscheinung - seine Person doch nie in den Vordergrund. Ihm ging es vielmehr um seine künstlerische Arbeit und um die Diskussion zum Stand des Faches.
Diese Diskussion aber lag ihm am Herzen und er wollte dazu auch einen essentiellen Beitrag leisten. Die Entwicklungen, die von bestimmenden Künstlerpersönlichkeiten seines Jahrhunderts geprägt wurden, diese Entwicklungen griff er auf und machte sie zum Teil seiner Formensprache.
Ich glaube, wir können heute davon ausgehen, dass sein Beitrag zur Entwicklung der Moderne ein bleibender sein wird.
(Wolf Erdel, Beitrag zur Gedenkschrift "Ein Leben für die Kunst", Hommage an Ludwig Gebhard zum 80. Geburtstag, Conradine Gebhard (Herausgeberin), 2013, Landsberg am Lech, 60 Seiten, viele Farbabbildungen. Das Buch kann zu 15 Euro über die Galerie Gebhard (www.galerie-gebhard.de) bezogen werden.