Inspiration aus Zürich
Zürich ist einfach schön. Besonders Ende August, wenn die Hitze des Sommers schon etwas nachlässt und die Stadt eine gemütliche Ruhe ausstrahlt. Betriebsamkeit herrscht in Zürich eigentlich immer, aber nie so, dass es unangenehm wäre. Im Gegenteil, Zürich belebt und inspiriert.

(Fotos: Dr. Erdel Verlag)
Nahezu alle Galerien, über 63 immerhin, wählen die Zeit zwischen noch Urlaub und schon fast Herbst für die Saisoneröffnung und beweisen damit einmal mehr ihr Gespür für den richtigen Augenblick.
Den Anfang machen traditionellerweise die Galerien im Viertel Aussersihl. Hier ist es bunt, die Straße wird zum internationalen Dorf, spanisch hört man fast ebenso häufig wie Schweizerdeutsch. Die hier ansässigen Galerien lassen sich gerne auf Experimente ein. Wer Lust hat, bewährte Sehweisen mit Neuem zu konfrontieren, ist hier gut aufgehoben. Die Wege sind kurz, die Chancen auf Überraschungen groß.
Am auffallendsten waren dieses Jahr die cor galerie, die 2011 zum ersten Mal mit dabei war. Sie präsentierte die 1972 in Buenos Aires geborene Künstlerin Marcela Böhm. Die Ausstellung trägt den Titel „Was man kann“. Die großformatigen Werke zeugen von einer präzisen Beobachtungsgabe alltäglicher Situationen, die wie unter einem Brennglas vergrößert und z.T. überzeichnet dargestellt werden. Die Kompositionen sind farbenfroh, detailreich und halten die Spannung zwischen Bewegung und Stillstand.

cor galerie
Die wunderschön im Hinterhof gelegene Galerie von Marlene Frei ist immer einen Besuch wert. Dieses Jahr begeisterten die Arbeiten „Keys to my heart“ der englischen Künstlerin Ann Noël. Die kleinen tagebuchartigen Collagen sind fantasievoll, witzig und erfrischend. Einer ihrer Titel: Art is what you do to surprise yourself. Diesem Statement kommen ihre Arbeiten voll und ganz nach.

Galerie Marlene Frei
In unmittelbarer Nachbarschaft befindet sich seit 2006 die Galerie Stephan Witschi. Früher eine Off-Galerie, deren Ausstellungen nur ein Wochenende lang dauerten. Nun lassen sie den Besuchern mehr Zeit, doch die Intensität der hier ausgestellten Kunst blieb gleich. Dieses Jahr sind die Fotografien von Mathias Braschler und Monika Fischer zu sehen, die in sieben Monaten 30 der 33 Provinzen Chinas bereist und über 30000 km zurückgelegt haben. Die glanzvollen und perfekt ausgeleuchteten Fotos bringen dem Betrachter in verstörender Weise die Vielfalt und die enorme Widersprüchlichkeit der chinesischen Realitäten näher.
Die Fotoarbeiten „Cyanotypes“ der Künstlerinnen Ruth Erdt und Eva Vuillemin bestehen aus unabhängig voneinander entstandenen Selbstportraits. Die Anordnung löst die zeitliche und hierarchische Verbindungen auf, indem sie sich visuell auf einer gemeinsamen Ebene verdichten. Das alte fotografische Verfahren des Blaudruck, bei dem die Belichtung durch Sonnenlicht erfolgt, steht in starkem Kontrast zur digitalen Bilderflut. Zu sehen im message salon.

message salon
Die Galerie Haas, spezialisiert auf die klassische Moderne, zeigt unter dem Titel „Meduse me“ Arbeiten der in Berlin lebenden Künstlerin Nicole Bianchet. Die Schau wird von drei großformatigen schwarzen Holzschnitten dominiert, die mit Acryl coloriert wurden. Entstanden sind dabei überdimensional große Naturdarstellungen, die den Betrachter nicht nur durch Detail und Größe in den Bann ziehen, sondern vor allem durch die organische Kraft des Blätterdickichts. Die Frauenköpfe, meist Gouache, Aquarell und Tusche auf Karton, entsprechen oft mythischen Gestalten und tauchen aus dunklen Traumwelten an die Oberfläche. Eine junge, vielversprechende Künstlerin.

Galerie Haas
Die subjektiv schönsten Arbeiten sind in der Galerie Kashya Hildebrand zu finden. Die poetisch-narrativen Bilder des libanesischen Künstlers Marwan Sahmarani werden erstmals in der Schweiz ausgestellt. Unter dem Titel „The wolf is crying like a child“ fängt er das Feuer der arabischen Revolution ein. Er sagt, wo Revolution sei, ist Schöpfung. Diese kreative Kraft strahlt aus jeder seiner sehr individuellen Arbeiten. Doch auch Erfahrungen wie Krieg, Vertreibung und Hoffnungslosigkeit werden nicht ausgespart. Dennoch werden die neuen Werke von der Lebendigkeit und Dynamik dominiert, die jeder Veränderung innewohnt. Die Galerie Kashya Hildebrand ist spezialisiert auf Künstler als Vermittler bzw. Bindeglieder zwischen abendländischer und östlicher Kultur.

Marwan Sahmarani
Ein letztes Highlight sind die scheinbar schwerelos schwebenden Arbeiten des südkoreanischen Künstlers Bahk Seon Ghi in der Galerie Andres Thalmann. Mit Holzkohlestücken – Symbol des Alltäglichen und Glücksbringer zugleich – gestaltet der Künstler raumfüllende Installationen, die geometrisch präzise Naturphänomene wie Wassertropfen oder Blumen nachbilden, bis der kleinste Windhauch die meditative Schönheit der Form zerfließen lässt.

Galerie Andres Thalmann